Was in der „historischen Entwicklung der Freizeitaktivität Bergsteigen“ immer wieder auffällt, ist der Widerstand gegen Neuerungen. So wurde bisher in jeder Epoche der Entwicklung ein „Generationsstreit“ ausgefochten. Da die Tätigkeit „Bergsteigen“ an sich wertfrei ist und nur die Überwindung mehr oder minder großer Schwierigkeiten am Gegenstand Berg darstellt, handeln diese Konflikte jeweils davon, wie diese Tätigkeit auszuüben sei. Hier erfolgt die Besetzung des Begriffes Bergsteigen mit jeweils unterschiedlichen Werten. Diese Werte, im speziellen Fall Methoden, gründen sich immer auf einmal erfahrene und danach beibehaltene Möglichkeiten, die in ihrer Anwendung einmal erstarrt gegen Neuerungen, das heißt bessere oder andere Möglichkeiten, verteidigt werden.
Neuerungen entstehen jeweils aus den veränderten materiellen Bedingungen der Bergsteiger (wie mehr Freizeit, mehr Geld, bessere Materialien zur Ausrüstung etc.). Obwohl es vernünftig wäre, solche Neuerungen anzunehmen oder sie zumindest als berechtigte Alternative gelten zu lassen, werden sie zunächst bekämpft. Diese Bekämpfung erfolgt aufgrund der Vorstellung, das Wie sei untrennbar verbunden mit dem Wesentlichen und stellt somit eine ideologisch begründete Handlungsweise dar, weil verborgen bleibt, daß die momentan gebräuchlichen Methoden im Bergsteigen in diesem Sinne wertfrei sind. Auf eine weitere ideologische Ebene stößt man, wenn man nach dem Warum der wertfreien Tätigkeit Bergsteigen stößt. Was unterschiedet den Ursprung des modernen Bergsteigens „um seiner selbst Willen“ von den früher üblichen zweckgebundenen Felsbesteigungen aus strategischen Gründen?
Es waren die Romantiker, die von sich aus ohne besonders ersichtlichen Grund auf Felsen stiegen. Sie besaßen eben dennoch Gründe, nämlich die romatische Naturschwärmerei, die der Natur Inhalte unterstellte, die sie nicht besitzt. Aus diesem Grunde ist schon der Anfang der Bergsteigerei ideologischer Natur. Ich möchte jedoch nicht unterstellen, daß heutige Bergsteiger eigentlich aus romantischen Gründen klettern gehen. Da das Bergsteigen seit seinen Ursprüngen Traditionen entwickelt hat, um welche es seit seiner organisierten Betreibung geht, bleibt sein Ursprung im Verborgenen, es wird als Voraussetzung akzeptiert, was nicht heißt, daß romantische Motive aus veränderten gesellschaftlichen Bedingungen heraus nicht wieder auftauchen können. Die dritte ideologische Ebene stellt die Vereinnahmung der Tätigkeit Bergsteigen durch gesellschaftliche und politische Gruppen dar.
Dies zeigt sich deutlich in den Auseinandersetzungen zu Beginn der organisierten Bergsteigerei. Hierbai ging es einerseits um das Wie des Bergsteigens, andererseits aber auch um den Ausdruck von „Klassenzugehörigkeit“ um den Aufbau einer gesellschaftlichen Gegenkultur mit dem Mittel der Bergsteigerei. Das Wesentliche an der Kletterei, die Überwindung von Felsschwierigkeiten, sowie ihr romantischer Ursprung blieb ja unberührt, sie wurde zum Instrument gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, der Streit um das Wie bot den Bürgerlichen allerlei Anlaß zu gehässiger Kritik. Wenn Hartlehner damals seine rote Fahne auf die Gipfel setzte, spiegelte das nur die Polarisierung der damaligen Gesellschaft wieder.
Diese Funktionalität für eine Gegenkultur besitzt das heutige Bergsteigen nicht mehr. Heutige Forderungen nach einer Gegenkultur sind nicht mehr mit dem Begriff „Bergsteigerei“ verbunden.
Gerade im Bereich der ehemals starken Besetzung dieses Begriffs mit politischen Attributen erfolgte eine Entideologisierung, Klettern wird von den meisten es heute Ausübenden diesbezüglich als wertfrei verstanden. Im ersten Bereich des Wie des Bergsteigens erfolgten Wandlungen von Besetzungen wie „Kampf mit dem Berg“, der „Tod im Nacken“. Mentalität hin zu mehr Leistungsorientierung und letztlich auch mehr Sicherheit. „Generationskonflikte“ werden jedoch weiterhin ausgefochten und wahrscheinlich das Gesicht der Bergsteigerei noch einige Zeit bestimmen.
Fränkischer Bergsteiger Bote 119. S. 54. 1984