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Quo vadis klettern (1981)

Versuch einer Zwischenbilanz

Nach der Leistungsexplosion der letzten Jahre im Sportklettern, die eine Erweiterung der bislang ausreichenden UIAA-Skala um die Grade VII, VIII, IX und X erforderlich machte und die „Alten“ in ehrfürchtiges Staunen, die „Jungen“ in Euphorie versetzte, scheint sich die Situation wieder etwas zu beruhigen. Bei X (bezw. 5.12) scheint man wieder weltweit und vielleicht vorerst, an eine gewisse Grenze bei der Freikletterei gestoßen zu sein. Bei uns im Jura kann man den VII. Grad bereits wieder als obligatorisch bezeichnen und bei Neufahrten (Erstbegehungen) wird der VIII. Grad von Könnern auf Anhieb bewältigt. IX und X werden immer wieder bei freien (Rotpunkt) Wiederholungen sonst technischer Anstiege (AO bis A4, bezw. A5) erreicht. Zweifellos sind sie – diese Schwierigkeiten – eher früher als später, auch bei Neutouren möglich. Noch schwierigeres wurde bereits beim von oben gesicherten Bouldern (toprope) überwunden (B3 irgendwo bei XI oder XII) und deutet an, was vielleicht zu erwarten ist, möglicherweise anderswo (USA, Sugarloaf, soll 5.13 sein) schon begangen wurde. Aber das ist noch recht unsicher, da diese Klettereien erst einmal durchstiegen, kaum wiederholt sind und deswegen konkrete Vergleichsmöglichkeiten fehlen.

Grundsätzlich kann man sagen, daß zur Zeit immer noch die Tendenz eindeutig zum leistungsbezogenen Sportklettern im Mittelgebirge geht und der alpinistische Beweggrund in den Hintergrund getreten scheint.

Beim Freiklettern unterscheiden die Experten bereits wieder Begehungen ohne Ausruhen (Rotpunkt) und mit Ausruhen (Rotring) an Haken und was mir als das Wesentliche erscheint: mit oder ohne Magnesiaverwendung. Gerade letzteres dürfte nach meiner Einschätzung wichtig werden.!?! Letztlich dürfte sich doch die Erkenntnis durchsetzen, daß Magnesia (Kollophonium u.a.) halt doch als künstliches Hilfsmittel zählt und den sportlichen Wert einer Begehung mindert, wenn es bei Schwierigkeiten über den VII. Grad hinaus (laut Kurt Albert ist jede Jurakletterei VII. Grades auch ohne Magnesia möglich!) vielleicht auch noch notwendig ist! Doch das kann sich ja ändern. !!! Im Fränkischen Jura sind starke Tendenzen dazu vorhanden und werden von einflußreichen Leuten (R. Engerer, Nbg. und G. Schweißhelm, Cobg.) vertreten.

Ein vernünftiger „Mittelweg“ scheint momentan die toleranteste Lösung darzustellen.

Ähnlich scheint es mit der zeitweilig arg verpönten Hakenkletterei zu werden (angeblich sollen sich Sportartikelhänder der jungen Extremistengeneration sogar geweigert haben, ihren Kunden Trittleitern zu verkaufen, weil man sowas zum Klettern nicht brauchen würde!)…

In der Schwäbischen Alb zum Beispiel (Donautal) gibt es schon wieder Anstiege des VIII. Grades, in denen sich die dortigen Spitzenleute nicht scheuen,an frei noch nicht möglichen Schlüsselstellen sich wieder in einen Fiffi zu stellen und das halt dann je nach dem mit A-/0 bis 5 zu werten! Auch das scheint mir vernünftiger (und auch sportlich ehrlicher), als solche Stellen durch künstlich geschlagene Griffe oder Tritte zu erzwingen (wie etwa am Deutsch-Österreicher-Turm / Fingertips).

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Die ältere Klettergeneration scheint ihren Schock auch langsam zu überwinden und traut sich, wenn auch zögernd an die Erstbegehungen der Jugend heran. Wiederholungen („fast Rotpunkt“) des „Dampfhammers“ (VII/A2, o. VII+) am Weißenstein durch R. Borschert mit H. Löser sprechen dafür. Mit den üblichen Hilfsmitteln (Trittleitern) konnte die 2. Beg. (und nach Albert die 1. „normal“ von unten gesicherte Durchsteigung) des spektakulären „Psychodaches“ im Trubachtal vom Schreiber mit N.Bauer und die der mehr anstrengenden als wirklich schweren „Genesis“ im Püttlachtal mit N. Bauer und E. Dietzfelbinger durchgeführt werden. Die von den Erstbegehern Fietz und Bätz in der Boulderart am Psychodach geschätzten Freikletterschwierigkeiten (toprope) von B2 (etwa XI) oder sogar B3 (XII) reduzieren sich dabei allerdings auf schlicht A3e/VI-

Am Weißenstein (…) kann man zur Zeit gut den Standart der heutigen Könner und derer, die es gerne wären beobachten.

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Es ist vermutlich für jeden wirklich Interessierten ein echter Genuß, wenn man zuschaut, wie ein den dortigen Schwierigkeiten überlegener Kletterer (alle Anstiege VII oder VIII, wenn frei) hinauftanzt. Und es ist zumindest erheiternd, wenn sich die „Möchte-gern-Epigonen“ dort von oben gesichert betätigen und buchstäblich tagelang zwischen dem ersten und zweiten Haken in die gespannten Seile fallen lassen. Wahrscheinlich fehlt mir nur der Sinn dafür, denn ich kapiere nicht recht, was das eigentlich soll. Krafttraining? Schön und gut, aber das kann ich (und die) im Burggraben wesentlich einfacher, billiger und weniger umständlich haben! Vielleicht „fliegen“ sie auch nur gern in der Luft rum. Aber nur von unten gesichert ist auch das optimaler zu erreichen! Manchmal möchte ich den nachgemachten „Top-ropern“ schon sagen, daß das von Oben-Sichern nichts neues und keineswegs von ihnen erfunden ist. Das habe ich schon 1968, als ich bei der Einnagelung des „Existenzialistenweges“ an der Napoleonsw. moralisch schlecht beisammen war und Angst vorm Runterfliegen hatte, praktiziert. Allerdings nicht, ohne vorher meinen Partner Willi Seidl sorgfältig den Hang absuchen zu lassen, damit mich ja niemand sehen oder dabei beobachten konnte. Sowas war damals nämlich noch sehr verpönt und hätte den Lästermäulern auf Monate hinaus als Gesprächsstoff gedient!!!

Weitere Kommentare möchte ich dazu nicht abgeben, denn immerhin klettern auch die „Pendelexperten“ und „Jo-Jo-Kings“ frei dahin, wo ich mich bei meiner Wiederholung des „Strohdaches“ (A3/V+) bereits krampfhaft an Sanduhrschlingen und Haken anhalten mußte!

Es scheint mit die toleranteste Lösung zu sein (andere halten das für anarchistisch!) jeden so Klettern zu lassen, wie er lustig ist und halt nicht nur das Was, sondern auch das Wie zu unterscheiden!

„So soll es sein, so wird es sein!“ (Wolf Biermann, auch wenn der was ganz anderes in seinem Lied damit meint!)

Ich denke, ich komme mit der Jugend trotz meiner Trittleiter, in der ich mit Begeisterung rumtrete und über die die Jungen wahrscheinlich auch oft lachen, ganz gut zurecht. Und die mit mir auch.

R. Buchner


Fränkischer Bergsteiger Bote 108. S. 42. 1981