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Rotpunktklettern – Anfänge bis 1984

„Rotpunkt zu Beginn eines Kletterweges bedeutet, es ist möglich, den Anstieg ohne Benutzung der Haken als Griffe oder Tritte oder sonstiger Hilfsmittel, die der Schwerkraft entgegenwirken, in freier Kletterei zu bewältigen. Haken, Legeschlingen, Klemmkeile dienen also nur zur Sicherung, es darf auch nicht daran ausgeruht werden …“

Diese Definition schrieb eine Gruppe Nürnberger „Spitzenkletterer“, unter ihnen Kurt Albert und Rainer Pickl, in die Wandbücher „klassischer Anstiege“ nachdem diese von ihnen in der angegebenen Weise erklettert worden waren. Am Fuß der jeweiligen Route brachten sie daraufhin einen roten Punkt an. Zum Entstehen ihrer „Rotpunktidee“ schreiben Kurt Albert und Rainer Pickl: „Entstanden ist der Zweifel am richtigen Weg, den das Frankenklettern bislang geht, nach unseren Erlebnissen im Elbsandsteingebirge. Wir sahen dort Anstiege, von denen man sich nicht recht vorstellen konnte, dass sie in freier, hilfsmittelloser Kletterei bewältigt worden sind … Ein Beispiel wäre die Gelbe Wand im Wiesenttal (Schwierigkeit VI“+“). Obwohl dieser Anstieg mit etwa 15 Haken arg vernagelt ist, wird er mit VI + (heute als VIII- eingestuft, Anmerkung der Redaktion) bewertet und zählt zu den schwierigsten Touren im Frankenjura. Stünde die gleiche Wand in der Sächsischen Schweiz, dann würde sie mit drei (!) Sicherungsringen frei erklettert und mit dem Schwierigkeitsgrad VII d (alte sächsische Schwierigkeitsskala, heute so VIIIa-c, Anmerkung der Redaktion) eingestuft“.

Nachdem zu Beginn der neuen Freikletterbewegung Haken aus einigen „klassischen Routen“ entfernt worden waren (wie an der Matterhornwand – die Gelbe), erhob sich in breitesten Kreisen fränkischer Kletterer ein Sturm der Entrüstung. Den jungen Freikletterern wurde vorgehalten, dass ältere Anstiege von den Erstbegehern schließlich in bestimmter Weise „geschlagen“ worden sind, man solle sie gefälligst im Originalzustand belassen, nicht zuletzt deshalb, weil die Mehrheit der Kletterer nicht die sportlichen Fähigkeiten der neuen Spitzengeher besäße, „ihre“ Touren aber auch weiterhin begehen wolle.

Ältere Bergsteiger empfanden auch die Verachtung der Trittleiter die in der Zeit des „Direttissima-Ideals“ das Wahrzeichen der „Extremisten“ darstellte, durch die Freikletterer als Beleidigung. In Einzelfällen kam es sogar zu Anschlägen auf deren Neutouren. So wurde im „Sautanz“ von K. Albert heimlich die Haken abgesägt, im „Frankenschnellweg“ natürliche Felsgriffe mit Gips zugeschmiert.

Die Rotpunkt-Methode stellte so eine gewisse Lösung des Konflikts dar, indem die Kletterwege im Originalzustand erhalten blieben, es aber im Belieben des Kletterers liegt, ob er vorhandene Haken zur Sicherung, oder auch als Hilfsmittel gebrauchen will.

Die erreichten Kletterschwierigkeiten der „Rotpunkt-Geher“ übertrafen bald den bislang die Grenze darstellenden oberen sechsten Schwierigkeitsgrad. Daher wurde 1977, nach einer Grundsatzdiskussion in Nürnberg der VII. und der VIII. Grad offiziell eingeführt und die Schwierigkeitsskala für weitere Entwicklungen nach oben geöffnet.

Der IX. Schwierigkeitsgrad dürfte 1974 von Wolfgang Fietz mit der „Neuen Dimension“ an der Ankatalwand erstmalig erreicht worden sein. Da diese Kletterei jedoch mit Seilsicherung „von oben“ erfolgte, wurde sie zu dieser Zeit „alpin“ nicht gewertet. sie wurde jedoch in den darauffolgenden Jahren mit Sicherung „von unten“ wiederholt und galt dann bis 1980 als schwierigster Juraanstieg. Inzwischen sind entgegen den Vermutungen der Schöpfer des „Rotpunkt-Gedankens“, die meinten, neue Touren seien im Frankenjura kaum mehr möglich, zahlreiche Neutouren im VII., VIII., IX. und neuerdings wahrscheinlich auch im X. Grad gelungen.

Als schwierigste Kletterroute galt der im Mai 1982 von Kurt Albert eröffnete „Magnet“ am Richard-Wagner-Fels (IX+ oder X).

Als entscheidend für die Steigerung der Kletterschwierigkeiten um vier volle Grade innerhalb von zehn Jahren, erscheinen jedoch neben der „Sackgasse“ der „Bohrhakenkletterei“ und der Entwicklung des „Rotpunktgedankens“, drei Voraussetzungen:

  • Eine abermals verbesserte Ausrüstung wie: Klemmkeile, Seilbremsen, Spezialschuhe, Multisturzseile, traf zusammen mit einer neuen psychischen Einstellung, wobei Stürzen nicht mehr wie vorher gefürchtet war, sondern nunmehr zur besseren Auslotung der absoluten „Sturzgrenze“ eingeplant wurde. Schwierige Kletterstellen konnten so besser ausprobiert werden.
  • Möglich wurde „geplantes Stürzen“ jedoch erst durch die um 1960 von Oskar Bühler erfundenen, nichtrostenden Stahlhaken. Diese werden im Fels einzementiert und liefern dem Kletterer so größtmögliche Sicherheit. Bis heute ist kein Ausbruch eines „Bühlerhakens“ bekannt geworden. O. Bühler ersetzte zusammen mit Helfern seither über 3000 alte „Normalhaken“ durch die neuen Sicherheitshaken. Der Frankenjura wurde dadurch zum „sichersten Mittelgebirge überhaupt“.
  • Da die sportliche Leistung zum wichtigsten Motiv wurde, wuchs die Bereitschaft zum häufigen Training. Dadurch verwischt sich langsam der Unterschied zwischen der Freizeitaktivität Bergsteigen und anderen Leistungssportarten.

Training und Aufbau ähneln den Vorbereitungen zum Beispiel für Leichtathletikmeisterschaften. So wird gezieltes Kraft-, Gleichgewichts- und Konzentrationstraining betrieben, im Winter verbringen heutige „Spitzenkletterer“ einen Großteil ihrer Freizeit in „Krafträumen“.

Sportkletterer, die sich maßgeblich an der Erschließung des VII. – X. Grades im Frankenjura beteiligten, sind u. a.:

K. Albert, W. Fietz, N. Bätz, P. Kubis, R. Pickl, W. Güllich, N. Sandner, W. Kickhäfer, W. Scharl, H. D. Brunner, T. Nuber, M. Häffner, W. Popien, S. Gschwendner, S. Schrank, Mia Bowden, Ingrid Reitenspieß, A. Engelhard.

Die derzeit schwierigsten Erstbegehungen sind:

Magnet, Rubberneck – Richard-Wagner-Fels, Luftballondach, Trilogie – Weiherbachtalfelsen, Sautanz, Schleimspur und Humbug an den Gößweinsteiner-Wänden, Neue Dimension – Ankatalwand, Entsafter – Weißenstein, Gillkante – Felskirchl, Bückling – Bärenschluchtwände.


Fränkischer Bergsteiger Bote 119. S. 48. 1984