Die Reaktivierung der Bergfreispitze oder eine Geschichte über Perseverance
Rudolf Buchners Kletterführer von 1985 beschreibt die Bergfreispitze im Krottenseer Forst als deutlich aufragenden Turm inmitten einer malerischen Felsgruppe. Er dokumentiert zwei Anstiege auf den Turm: den Weg der Erstbesteiger aus der Zeit vor 1920 und einen weiteren, der vor dem Erscheinen des ersten Kletterführers erstbegangen wurde. Ein Blick ins Kletterkonzept Auerbach-Königstein-Krottenseer Forst zeigte, dass dieser Fels zwar der Zone 1 zugeordnet wurde, allerdings mit dem Verweis „nicht begangen“.
Im Winter 2015 stattete ich der Bergfreispitze einen Besuch ab, um die Situation vor Ort zu begutachten. Hierbei erwies sich die blumige Beschreibung von 1985 durchaus als zutreffend: Die Felslandschaft mit ihren vielen Türmchen und verwinkelten Schluchten lässt sich tatsächlich als malerisch bezeichnen.
Verstreut über die Sektoren waren vereinzelt begonnene Erschließungen mit wechselndem Haken- bzw. Verbundmaterial erkennbar. Zum Teil erschienen die angedachten Routenverläufe wenig sinnvoll und auf der Ostseite fanden sich zudem einige modellierte/deutlich zementierte Griffe. Die Felsqualität ist – wie im Krottenseer Forst üblich – überwiegend gut und sehr kompakt. Deswegen fand ich es lohnenswert, zu versuchen, die damals ohne Ortstermin getroffene Zoneneinteilung zu diskutieren, um hier das Klettern wieder zu ermöglichen und um neue Routen zu erschließen.
2016 erfolgte eine Begehung der Bergfreispitze mit Vertretern von Naturschutzbehörden und -verbänden. Der Ortstermin brachte zwar positive Signale bzgl. einer Veränderung der naturschutzfachlichen Zoneneinteilung, da weite Felsbereiche keinerlei Vegetationszonen aufwiesen. Eine Entscheidung wurde jedoch vertagt, da Bedenken angemeldet wurden wegen:
- der Nähe zum Naturwaldreservat Mannsberg
- genetisch nachgewiesener Wildkatzenpopulation im Naturwaldreservat und
- dem Verschlechterungsverbot gemäß FFH-Richtlinie
2017 und 2018 wurde die Situation an der Bergfreispitze wieder zur Sprache gebracht, wobei es nicht gelang, die Bedenken auszuräumen. Der Entscheid wurde wieder aufgeschoben. Die vierte Diskussionsrunde 2019 brachte schließlich den Durchbruch. Neben den vorgetragenen Argumenten (wie Dauer der Publizierung in alten Führerwerken und Freiheit von Vegetation) war für die Genehmigung letztlich die Nähe zum Wanderweg ausschlaggebend, der bereits im Buchnerführer beschrieben wurde.
Erschließung 2019
Die Erschließung selbst war durchaus herausfordernd: Der Gipfelbereich ist stark zerklüftet und mit moosbewachsenen Spalten durchzogen. Und was zunächst als leicht zugängliches Felsmassiv erschien, erwies sich vom Abseilpunkt aus als abgesprengter Turm, der über mehrere Spaltsysteme erreicht werden musste.
Die damals noch nicht umzäunte Wildschweinsuhle auf der anderen Seite des Wanderwegs führte ebenso zu Besuchen der einprägsameren Art. Es gab Situationen, bei denen ich mich über die Akkurestlaufzeit meines Bohrers gefreut habe, die es mir erlaubte, mich unmissverständlich bemerkbar zu machen.
Durch diese und weitere Erlebnisse bürgerte sich sich schnell der geflügelte Begriff „Into the Wild“ für die gesamte Felsgruppe ein. Da die Bergfreispitze genau genommen nur der vorgelagerte Turm ist, haben wir den Namen „Into the Wild“ für die Veröffentlichung des gesamten Felsareals übernommen.
Heute gibt es dort ca. 25 Touren, wobei sich das Gros der Schwierigkeiten im 8ten und 9ten Grad bewegt. Typisch für den Krottenseer Forst überwiegt senkrechte bis leicht überhängende Kletterei, die häufig technisch anspruchsvoll ist. Durch den Buchenwald bietet die Westseite im Frühjahr und Herbst auch viele Sonnenstunden. In der Schlucht findet man dagegen im Sommer häufig noch erträgliche Temperaturen. Ein kleines Abenteuer bieten die Routen „Supertramp“ und „Into the unknown“. Sie verlaufen in einer kleinen Schlucht mit überschaubarer Rückenfreiheit und erfordern einen aufmerksamen Sicherer.
Die Veröffentlichung – nochmal Perseverance
Dass die Veröffentlichung des Felsen nun erst vier Jahre nach der Erschließung erfolgt, war auch Folge der Bedenken hinsichtlich einer möglichen Wildkatzenpopulation. Vor einer Publikation sollte dieser Umstand mittels Lockstäben näher untersucht werden, um den Felsen nötigenfalls während der Aufzuchtphase temporär zu sperren.
Von Behörden und Verbänden gab es zunächst Tendenzen, den Status der Nichtveröffentlichung noch länger aufrecht zu halten. Hier galt es beharrlich zu bleiben, bis schließlich 2023 eine Übereinkunft erzielt werden konnte. Die Möglichkeit einer temporären Sperrung bleibt natürlich zukünftig bestehen, sofern seitens Naturschutz Bedarf entsteht.
Die Reaktivierung der Bergfreispitze stellte sicherlich die längste Zeit dar, die ich bislang wegen eines einzelnen Felsens mit den Naturschutzbehörden in Kontakt stand. Es gab Jahre, da war ich mir sicher, dass sich der Aufwand nicht auszahlen würde und früher oder später eine Ablehnung ausgesprochen werden würde. Umso mehr bin ich froh und stolz, dass es gelungen ist, dieses tolle Felsareal für den Klettersport zurückzugewinnen.
Ich bedanke mich herzlich bei den Behörden und Verbänden für die gute und professionelle Zusammenarbeit, sowie bei allen Beteiligten für die Unterstützung bei der gemeinsamen Erschließung.
Zum Schluss noch ein Appell:
- Bitte verhaltet euch im Wald möglichst ruhig,
- hinterlasst keinen Müll und
- habt insbesondere bei diesem Felsen den weiten Zustieg für den Rückweg im Blick, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder am Parkplatz zu sein.
Topo
Das Topo ist eine Vorabveröffentlichung aus dem 2. Band des Kletterführers Frankenjura von Sebastian Schwertner (14. Aufl. 2024).